Cammer. „Sie haben sich mit dem bei Ihnen in Cammer gepflegten Brauch ‚Herren- oder Hirtentuten‚ um die Eintragung in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes beworben. Ich freue mich sehr, ihnen nun mitteilen zu können, dass sich die Expertenjury Immaterielles Kulturerbe des Landes Brandenburg dafür ausgesprochen hat, Ihre Bewerbung an das Sekretariat der Kultusministerkonfernz weiterzuleiten“, so beginnt das Anschreiben aus dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur und darin wird betont, dass sich die Kulturministerin des Landes, Manja Schüle dem Votum angeschlossen hat. Hervorgehoben wird, dass die Initiatoren um Andreas Koska eine überzeugende Bewerbung mit hoher Authentizität abgegeben hätten. Demnach besäße der Brauch eine stark identitätsstiftende und hoch integrative Wirkung, schreibt Abteilungsleiter Kultur, Reiner Walleser in dem Brief.
„Die Nachricht hat bei uns eine große Freude ausgelöst und gleichzeitig ist sie eine Bestätigung für die Bürger, die sich seit Jahren für die Fortführung der Tradition einsetzen“, freut sich Andreas Koska, der die Bewerbung abgegeben hatte. Er betont, dass mit dem Dorf- und Heimatverein, den Landfrauen, der Kirchengemeinde und dem Amtsdirektor alle gesellschaftlichen Schichten und viele Vereine mit im Boot sind.
Nachdem die erste Hürde genommen wurde, hofft man jetzt auch die Kultusministerkonfernz und danach das unabhängige Expertenkomitee bei der Deutschen Unesco-Kommission zu überzeugen und bei der Evaluierung zu bestehen. Mit einem Ergebnis ist im Februar/März 2021 zu rechnen. In jeder Bewerbungsperioden kann jedes Bundesland bis zu fünf Vorschläge weitergeben, aus Brandenburg sind in diesem Jahr insgesamt drei Bewerbungen im Topf.
Im Anschluss informieren wir sie über die Tradition und ihre Geschichte:
Hirten und später der Nachtwächter, schließlich Konfirmanden
Früher war der Brauch im ganzen Fläming und der Zauche verbreitet – in Golzow, Nichel oder Ragösen. Auch in den heutigen Ortsteilen im Bezirk Berlin-Spandau, in Tiefwerder und Pichelsdorf, wurde der Brauch gepflegt.
Mittlerweile wird die Sitte jedoch nur noch in Cammer aktiv betrieben. Waren es vor einem Jahrhundert die Hirten und später der Nachtwächter, sind jetzt Jugendliche mit ihren Tröten und Schalmeien unterwegs und werden von allen Einwohnern sehnlichst erwartet.
Neun Tage vor Weihnachten ziehen Jugendliche tutend durchs Dorf und helfen dem Christkind, den Weg auf die Erde zu finden. Am Silvestertag startet dann der letzte Rundgang. Die Jugendlichen entrichten Neujahrswünsche und erhalten eine kleine Gabe als Dankeschön. Dabei wird folgende Grußformel benutzt:
„Die Glocken verkünden mit hallendem Ton, dass wieder ein Jahr ist verschwunden. So haben wir Jugend von Cammer auch schon, wie üblich uns eingefunden. Vor allem wünsch ich, dass dieses Haus mit reichem Segen erblühe. Und wolle Gott geben zu jedermanns Glück, dass sich bessere der Menschheit Geschick, die täglich sich quälet aufs Neue, und Wünsche der gesamten Christenschar ein glückliches Neues Jahr“.
Die Formal hat sich im Laufe der Jahre verändert und wurde der heutigen Zeit angepasst. Die Hirten zu Beginn des 20 Jahrhunderts sagten noch:
„Ich wünsche ju een frehliges Neuetjoahr, Friede, Gesundheit un de ewige Seligkeit. – De Schüne vull Kourn un Streu, janzen Heuböne vull Heu, von jedet Perd en Fohlen, von jede Kuh en Kalb, von jede Sau zehn Ferken, det könnt Ihr Euch mal merken“.
Zu den schon eingetragenen Traditionen gehören zum Beispiel der Pfingsttanz in der Verbandsgemeinde Mansfelder Grund-Helbra, der Osterräderlauf in Lüdge, das Wunsiedler Brunnenfest, die Flussfischerei an der Mündung der Sieg, die kunsthandwerkliche Herstellung von Darßer Türen oder die Ostfriesische Teekultur. Aus Brandenburg seien bislang nur die Bräuche der Lausitzer Sorben im Jahresverlauf aufgeführt.
Cammer ist einer von vier Ortsteilen der Gemeinde Planebruch im Amt Brück im Landkreis Potsdam-Mittelmark. Cammer hat 450 Einwohner, das Dorfleben wird durch die vielen Vereine bereichert. Neben dem Dorfverein gibt es noch einen Chor, eine Tanzgruppe, Angler, einen Feuerwehrverein und einen Jugendklub sowie die AWO.
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