Hirtentuter unterwegs – Einzigartige Tradition hat sich nur in Cammer erhalten

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Cammer. Am Donnerstag, 16.12.2021, neun Tage vor Weihnachten starten Aurelia Schmidt, Theresa Frisch und Elias Feuerherdt ihre Rundgänge durchs Dorf, das Hirtentuten beginnt. Die drei werden an jeder Ecke und vor jedem Haus, in dem Kinder wohnen, dreimal in ihre Tuten blasen und die baldige Geburt von Jesus verkünden.

„Sie sollen Jesus den Weg zur Erde erleichtern, neun Tage deshalb, weil die Himmelsleiter neun Stufen hat“, erläutert Thomas Lauft. Er ist der „Tuten-Verwahrer“ und Pfleger. Er und sein Sohn Oliver kümmern sich seit vielen Jahren um die nächsten Tuter. „Die Tradition muss fortbestehen“, darin sind sich beide einig.

Thomas selbst hat vor 45 Jahren getutet, Oliver war gar zweimal in den Jahren 2010 und 2011 an der Reihe. Einzig Olivers älterer Schwester Jessica blieb das Amt versagt. Als sie 1999 tuten wollte hieß es, dass nur Jungs die Rundgänge machen dürfen. Sie führte eine Unterschriftensammlung gegen die Diskriminierung durch und hatte Erfolg. „Wir waren der letzte Mädchen-Jahrgang, dem es versagt blieb zu tuten“, erinnert sich auch Juliane Menz, Theresas Mutter. So dürfen auch diesmal die Mädchen ran. Die 13jährige Aurelia, die zwei Jahre jüngere Theresa und als einziger Junge der 11jährige Elias werden gemeinsam die Runde machen und erhielten von Thomas Lauft eine kurze Unterweisung sowie die Tuten. „Das einzige was icht möchte ist, dass ihr mir die Tuten nach Neujahr zurückbringt“, betonte der Traditionsbewahrer.

Für Zugezogene ein ungewohntes Bild, und manch einer hält es zuerst für einen Jugendstreich. Dabei ist Cammer der letzte Ort in dem die Herren- oder Hirtentuten Tradition gepflegt wird. Früher war es überall gebräuchlich. Aus Nichel, Ragösen und Golzow sind Hirtentuter belegt, auch in dem Spandauer Ortsteil Tiefwerder gab es Hirtentuter.

Das Tuten erinnert an die  früher überall tätigen Hirten. Das Vieh kam damals gemeinsam auf die Weide – und wurde dafür von den Hirten von den einzelnen Gehöften abgeholt. Die Besitzer der Tiere konnten so also ihren anderen Pflichten in Haus und Stall, auf dem Acker oder im Wald, nachgehen. Einige Monate vor Weihnachten hatten die Hirten für die Kinder des Ortes kleine Geschenke geschnitzt.

Neun Tage vor Heiligabend stellten die Kinder einen Teller vor die Tür, und die Hirten legten das Geschnitzte, sowie Äpfel, Nüsse und Honigkuchen darauf. Am Neujahrsabend holten sich die Hirten bei denen ihren Lohn ab, deren Vieh sie das ganze Jahr über gehütet hatten. Tutend zogen sie durch Cammer und traten mit einem Spruch in die Häuser. Im Laufe der Zeit änderten sich die Sprüche.

Nachdem es keine Hirten mehr gab, hat der Nachtwächter die Aufgabe übernommen. Danach schlief die Sitte ein. In Cammer belebte der Lehrer und Heimatforscher Franz Hönow die Tradition. Seit Anfang der 30er Jahre wurde wieder getutet.

Diese Aufgabe oblag den Konfirmanden und wie gesagt ausschließlich den männlichen Jugendlichen. Erstmals im Jahr 2000 durften Mädchen ran. Im Jahr 2007, als keine Jugendlichen da waren, sprangen Mitglieder des Gemischten Chores Cammer ein und wahrten die Tradition. 2021 sind zwei der Tutenden etwas jünger und könnten die Aufgabe auch in den kommenden Jahren fortführen.

Jeden Tag sind die Jugendlichen zwei bis zweieinhalb Stunden im Dorf unterwegs, das vorletzte Mal an Heilig Abend. Das allerletzte Mal wird am Silvester getutet. Dann treten die Tuter an jede Haustür im Dorf und bringen Glückwünsche fürs neue Jahr. Der aktuelle Spruch lautet:

„Die Glocken verkünden mit hallendem Ton, dass wieder ein Jahr ist verschwunden. So haben wir Jugend von Cammer auch schon, wie üblich uns eingefunden. Vor allem wünsch ich, dass dieses Haus mit reichem Segen erblühe. Und wolle Gott geben zu jedermanns Glück, dass sich bessere der Menschheit Geschick , die täglich sich quälet aufs Neue, und wünsche der gesamten Christenschar ein glückliches Neues Jahr.“

Ist der Spruch aufgesagt werden die Tutenden entlohnt, wie schon ihre Vorgänger die Hirten.

Cammer-Herrentuter-18-1Der Dorf- und Heimatverein Cammer hat vor drei Jahren den Antrag gestellt, diese Tradition in das Verzeichnis des „Immateriellen Kulturerbes“ aufzunehmen. Während das Land Brandenburg den Antrag befürwortet hat, wurde er von der Bundeskommission abgelehnt. Andreas Koska hat die Antragsstellung zum Anlass genommen, um eine Dokumentation über das Herrentuten herauszugeben. Das Buch „Die Himmelleiter hinab – Die Cammerschen Herrentuter. Immaterielles Kulturerbe für die Tradition?“, erschienen im Ortssinn-Verlag, ist im Buchhandel und beim Bäcker in Cammer erhältlich. Es kostet zwölf Euro (ISBN 978-3-9820869-3-4).

Weitere Infos unter: http://planebruch.de/allgemein

 

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