Stadt Beelitz, Birkhorst. Elke Seidel ist ein Urgestein der Kommunalpolitik in Potsdam-Mittelmark und in Beelitz. Seit 1990 in der Stadtverordnetenversammlung Beelitz, seit 1993 im Kreistag Potsdam-Mittelmark. Zwischendurch auch einige Jahre Mitglied im Landtag Brandenburg. Fläming 365 hatte Gelegenheit zu einem Interview mit ihr. Das Gespräch führte Andreas Trunschke.
Andreas Trunschke: Über 30 Jahre politisch aktiv, das ist ja schon mal eine Hausnummer. Zeit, auch einmal Bilanz zu ziehen. Wie blicken Sie auf Ihr Engagement zurück? Was haben Sie erreicht? Woran sind Sie (noch) gescheitert?
Elke Seidel: Anfang der 90er Jahre fehlte die Erfahrung von heute. Dann hätte ich sicher einiges, vielleicht, anders gemacht. Aber da ich von Anfang an ehrlich, geradlinig, hartnäckig und authentisch blieb, war es manchmal auch schwierig.
Es fing 1988 mit einer Bürgerinitiative zur Rettung des Trinkwassers in Beelitz an. Damals sind wir gegen die Verseuchung des Grundwassers seitens des ACZ Agrochemisches Zentrum am Bahnhof Beelitz angetreten, das Trinkwasser war in Gefahr, Brunnen mussten geschlossen werden. Heute ist Wasser bekanntermaßen sehr knapp geworden, ein Grundwasserdefizit besteht, und dazu kommt die „Verunreinigung“ des Grundwassers durch die langjährige Überfrachtung mit chemischen Produkten durch die Landnutzung. Das Trinkwasser ist heute ein noch viel größeres Problem als damals.
Die Abbaggerung des Dorfes Hornow wegen der wenigen, darunterliegenden Braunkohle, erzeugt für mich noch heute eine Schamsituation. Weil es uns im Landtag nicht gelungen ist, mehr als 22 Landtagsabgeordnete zu motivieren, gegen das Gesetz zu stimmen. Die politische Unvernunft und die „Abhängigkeit“ hatte sich durchgesetzt. Ich war schon immer für das Prinzip der Nachhaltigkeit. Ich saß in allen Nachhaltigkeits- und Ressourcenschutzbeiräten bis 2011, und machte immer wieder die Erfahrung, dass die vielen Beiräte und Experten sagen können, was sie wollen. Aber gehört wird nix oder nicht viel oder nicht das Richtige. Gehört wird von Mehrheiten nur, was man hören will.
Positiv ist, dass ich als Landtagsabgeordnete Beelitz mit in die AG Historische Stadtkerne integrieren konnte. Und ich wurde bereits 2000 als Ehrenmitglied in den Umweltbeirat der Landesregierung berufen.
Im Kreistag konnte ich Beschlüsse initiieren, die mit den Slogans „Mehr Strom aus der Sonne“ und „Mehr Wärme von der Sonne“ die erneuerbaren Energien im Landkreis voranbringen sollten (und auch haben). Mit dem dezentralen Strommanagementcenter hat der Kreistag damals einen wichtigen Schritt getan- wir stellten jedes Jahr vor, wie viel erneuerbare Energien im Landkreis erzeugt wurden, getrennt nach Windanlagen, Photovoltaikanlagen, Biogasanlagen, Wasserkraftanlagen und Blockheizkraftwerke (die durch die Doppelnutzung von einem Brennstoff für Strom und Wärme effizient den Gasverbrauch strecken). Wir fingen 2001 an mit einem bilanziellen Anteil von 4,5 Prozent des erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energien am gesamten Stromverbauch im Landkreis und landeten bei über 100 Prozent. Leider konnten wir nicht umsetzen, dass dieser Strom auch den Bürgern von Potsdam-Mittelmark als „Strom aus PM- von hier, für uns alle“ zur Verfügung steht. Daran muss weitergearbeitet werden, denn „Kreiswerke“, die diese Managementaufgabe übernehmen, fehlen noch.
Andreas Trunschke: Wenn wir Richtung Kreistag und Stadtverordnetenversammlung blicken, wie sieht ihre persönliche Bilanz da aus?
Elke Seidel: Wie oben schon dargelegt, richtet sich mein Engagement an dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen aus. Dazu gehören der funktionierende kleine Wasserkreislauf, die Reinhaltung des Bodens, Erosionsvermeidung auf allen Flächen (zum Erhalt des Humus und Haltung von Wasser) und die Nutzung der erneuerbaren Energien zur Ankehr von der Nutzung von Atomenergie, Kohle, Erdöl und ganz zum Schluss Erdgas. In diesen Bereichen bin ich aktiv, und werde es auch bleiben. Die erste Erfahrung, die ich im politischen Geschäft gemacht habe, war im Kreistag 1993/ Anfang 1994. Da ich damals der Mehrheitsfraktion SPD angehörte, bis 2003, konnte ich einiges umsetzen, zum Beispiel den Kreistagsbeschluss zu mehr Wärme und zu mehr Strom aus der Sonne. Das dezentrale Strommanagementcenter ist vielleicht noch in Erinnerung. Daraus ist dann auch ein Buch („Volle Energie voran – Beispiele aus Potsdam-Mittelmark“) von Peter Bartels und mir entstanden. Ich rechne mir hoch an, dass die Verwaltung diese jährlichen Informationen an den Kreistag dann so gut hingekriegt hat.
In Erinnerung ist mir der erste Beschluss des Umweltausschusses nach der Wende in Beelitz, wir stellten einen Silberahorn, der am Tennisplatz in Beelitz stand, unter Schutz. Das war schon nach der Wende ein gutes Gefühl und die Erkenntnis: Demokratie kann verändern, wir können unsere Stadt gestalten.
Andreas Trunschke: Das Thema Wasser hat Sie auch im Kreistag beschäftigt, oder?
Elke Seidel: Der nächste große Erfolg, den ich mir anhefte, ist der Bericht der Arbeitsgruppe Wasser. Wir hatten eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe im Kreistag, die sich mit dem Thema Wasser, Grundwasser, Trinkwasser und weiteren Belangen zum Wasser auseinandersetzte und an sechs Punkten festgestellte: Wir müssen die Landnutzung sofort ändern, sonst haben wir keine Chance, das Wasser zu halten und das fehlende Wasser zu kompensieren. Und die Änderung der Landnutzung fängt im Garten oder vor der Haustür an und endet bei der Landwirtschaft. Die muss sich sofort um 180 Grad drehen. Aber das macht keiner, versteht auch keiner und will auch keiner. Der Bericht wird totgeschwiegen, vielleicht aus Angst, weil er ein sofortiges Handeln erfordert. Und ich kann nur hoffen, dass der nächste Kreistag sich dessen wieder erinnert und entsprechend handelt.
Ich habe auch immer die Themen, Aussagen, Argumente kritisch hinterfragt, so auch bei den Stauanlagen. So ist es mir bis heute ein Rätsel, warum vom Kreis Geld für die Sanierung von Stauanlagen ausgegeben wird. Das ist nicht erforderlich, weil die Stauanlagen überhaupt nicht Aufgabe des Kreises sind. Geld, das der Kreis da ausgibt, ist Geld von jedem Bürger und gar nicht für diese Aufgaben gedacht. Jeder Euro für Denkmalschutz ist mehr und besser aufgehoben als ein Pfennig oder ein Cent für Stauanlagen. Das bringt jetzt sicher Proteste bei Einigen – glaube ich – aber wir können nicht alle Defizite mit öffentlichen Steuergeldern abpuffern. Wer mit Traktoren Autobahnen sperrt und Menschen durch Gülle in Gefahr bringt, der hat keine guten Argumente!
Leider konnten auch diejenigen, die sich damit auskennen, die Kreisverwaltung und die Mehrheit der Kreistagsmitglieder nicht davon überzeugen, dass man mit einer Hackschnitzel- oder Pelletheizung keine Zukunft gewinnen kann. Denn das Thünen-Institut hat vorgerechnet, dass in zehn Jahren aufgrund der jetzt schon bestehenden Verträge für Holzlieferungen für Verbrennung, Möbelindustrie u.v.m. die Holzlieferung gar nicht mehr funktionieren kann, da gar nicht so viel nachwächst wie gebraucht wird. Die Wälder sterben langsam, aber man sieht es. Und da jetzt zu beginnen, eine Pelletheizung zu planen, hat absolut keinen Sinn – wenn die Anlage fertig ist, werden das Holz oder Holzabfälle sehr sehr teuer sein. Wir kein Holz mehr haben.
Die gleiche Unvernunft sehe ich beim Wasserstoff. Wasserstoff wird sicher in der chemischen Industrie gebraucht. Aber Wasserstoff jetzt als das „Öl der Zukunft“ zu bezeichnen, ist in meinen Augen ein Irrweg. Geld wird verbraten, Strom wird verbraten. Es wird zu viel Energie bei diesem Prozess verbraucht, die als erneuerbarer Strom in Direktnutzung viel effizienter eingesetzt werden kann. Die jetzige Wasserstoffhype, die viele ergriffen hat, kann nicht funktionieren – es ist (vielleicht) der Versuch der Gaslobby und der Vertreter des zentralistischen Energiesystems zu überleben. Aber so langsam erkennen die Staaten diesen nicht gehbaren Weg und verabschieden sich von Netzen mit Wasserstoff, die ein Land durchziehen. Deutschland wird es mit Schmerzen auch bald erkennen. Denn Wasserstoff ist hoch explosiv, es stellt ein Sicherheitsrisiko dar, verbraucht – wie schon gesagt – zu viel Strom bei der Herstellung, erzeugt Wärme, wo man sie vielleicht nicht braucht. Es ist das kleinste Molekül und wandert.
Andreas Trunschke: Ihre Bilanz sehen Sie sehr durchmischt. Trotzdem wollen Sie wieder in die Stadtverordnetenversammlung Beelitz. Warum?
Elke Seidel: Ich möchte meine Erfahrungen weitergeben, und dafür möchte ich eine Gruppe haben, die auch meine Erfahrung aufnehmen will. Und die habe ich gefunden.
Andreas Trunschke: Das sind jetzt nicht mehr DIE GRÜNEN, sondern PLAN B. Warum dieser Wechsel?
Elke Seidel: Ich betone, ich bin immer noch grünes Mitglied. PLAN B hat mich gefragt. PLAN B ist eine Gruppe, die sich neu zusammengetan hat und für die Stadtverordnetenwahl antritt, und die es in meinen Augen wert ist, unterstützt zu werden.
Andreas Trunschke: Was hat PLAN B vor?
Elke Seidel: Die Leute sind offen. Ich habe den Eindruck, sie wollen auch lernen. Und sie wollen gestalten. Und insbesondere kontrollieren und nachdrücken bei dem, was die Stadtverordneten beschließen, zum Beispiel bei den Finanzen. Das fehlte mir in Beelitz.
Es geht auch um die fehlenden sozialen Komponenten. Die Pflichtaufgaben dürfen nicht vernachlässigt werden. Kultur ist schön und gut, aber Kultur ist freiwillig. Wenn der ganze Haushalt nur aus Kultur besteht, dann ist irgendwas falsch. Wir haben zurzeit 27 Millionen Kredite, die müssen abgezahlt werden. Wir haben abnehmende Landeszuweisungen. Die Kreisumlage wird auch nicht weiter sinken. Von dem Haushalt von 40 Millionen in Beelitz gehen mindestens 16 Millionen Personalkosten gebunden weg, dazu ca. 7 Millionen Kreisumlage. Dann kommen 2 Millionen Tilgung und Zinsen für die Kredite dazu. Dann bleiben noch 16 Millionen, um damit irgendwas zu gestalten und die Verwaltung zu führen. Große Einnahmen gibt es nicht. Eine Sisyphusaufgabe, wie soll das funktionieren?
Andreas Trunschke: Für den Kreistag kandidieren Sie aber nicht wieder?
Elke Seidel: Ich kann da nichts mehr erreichen, und meine Kraft ist endlich. Mein Alter kommt dazu, obwohl ich so manchen Jungen noch umrenne.
Andreas Trunschke: Das glaube ich sofort. Dabei machen Sie noch viel mehr und engagieren sich auch außerhalb der Kommunalpolitik. Stichworte wäre dabei das Heizkraftwerk in Heilstätten und die Bürgersolaranlage.
Elke Seidel: Die Bürgersolaranlage, da hängt mein Herz dran. Wir haben sie 2004 als erste Bürgersolaranlage im Land Brandenburg gegründet. In diesem Jahr wird die Einspeisevergütung auslaufen, und im nächsten Jahr wird die GbR aufgelöst werden. Sie hat ihren Zweck erfüllt. Die Leute haben ihren Einsatz zurück und einen beträchtlichen Gewinn dazu. Das hat funktioniert, obwohl wir einige Höhen und Tiefen hatten. Wir erzeugen jährlich ca. ein Viertel des Verbrauches der Schule.
Andreas Trunschke: Was wird aus der Anlage?
Die Anlage steht auf der Schule. Das Beste wäre, die Stadt würde sie übernehmen. Wir würden uns über einen kleinen Obolus freuen, der auch gerechtfertigt ist, weil die Module gerade einmal zehn Jahre alt sind und wir ein Viertel des Stroms, den die Schule verbraucht, erzeugen. Das würde bedeuten, dass die Stadt ein Viertel der Erträge oder des Geldes einsparen kann. Und ein Viertel weniger Geld ausgeben, das ist doch eine Hausnummer.
Andreas Trunschke: Wie sieht es mit dem Heizkraftwerk aus?
Elke Seidel: Der Förderverein Heizkraftwerk Beelitz-Heilstätten e.V. besteht seit 1996. Seit dieser Zeit werben wir für Beelitz-Heilstätten. Wir mussten wegen der Bauarbeiten am und im Heizhaus vier Jahre alle Aktivitäten einstellen. Keine Führungen, keine Öffnungen, überhaupt nix. Jetzt sind die Baumaßnahmen so weit abgeschlossen, dass wir so langsam Raum für Raum wieder in Betrieb nehmen können. Aber von der Fläche her sind wir jetzt doch deutlich eingeengt. Früher stand uns das Erdgeschoss komplett zur Verfügung. Jetzt sind wir reduziert auf Kesselsaal, Maschinensaal, Archiv und einige Nebenräume. Wir müssen erst mal sehen, wie das mit den Führungen laufen kann. Wir sind Mieter im Heizhaus und stehen mit dem Investor in einem engen, guten Kontakt.
Wir werden sehen, wie es sich entwickelt. Es ist halt wie überall. Die Menschen, die in den Vereinen aktiv sind, die sind knapp, und wir werden auch nicht jünger. Aber wir sind sehr zufrieden, dass sich unsere Zielsetzung: Neben der historischen Kraftwärmekopplung soll eine moderne Anlage wieder Wärme und Strom erzeugen. Und dieses Ziel ist erreicht.
Andreas Trunschke: Irgendwann hört man ja wirklich auf. Aber es kommen ja neue Menschen nach. Was würden Sie jemand raten, der sich kommunalpolitisch engagieren möchte?
Elke Seidel: Wer in die Kommunalpolitik neu einsteigen möchte, dem möchte ich wirklich dringend ans Herz legen, sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen. Denn nichts ist schlimmer, als wenn in einer Stadtverordnetenversammlung geplappert wird ohne rechtliche Kenntnis, ohne Einhaltung von Regeln. Und die Regeln für uns Kommunalpolitiker sind nun einmal die Kommunalverfassung, die Geschäftsordnung und die Hauptsatzung. Alle Parteien haben Einrichtungen, die Weiterbildung machen, und jeder, auch der nicht in einer Partei ist, kann sich in solchen Weiterbildungsseminaren informieren. Es gibt gerade nach der Wahl oder um die Wahl herum immer viele Angebote dieser Stiftungen. Zum Beispiel: Wie gestalte ich die erste Sitzung? Was muss in die Hauptsatzung, was muss nicht rein? Wie kriege ich das rein? Wie schaffe ich mir Mehrheiten? Wie ist der Haushalt aufgestellt? Was kann ich und wie mit Kennzahlen usw. gestalten? Und so weiter und so fort.
Andreas Trunschke: Vielen Dank für das sehr ausführliche Gespräch.
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Eine Antwort
Das war ein sehr interessantes Gespräch! Bin nur durch Zufall drauf gestoßen. Habe es auf der “Beelitz Seite” verlinkt.