Viel Geschichte und viele Geschichten bot am späteren Sonntagnachmittag die offene Geschichtswerkstatt Borkheide – und viele kamen. Im großen Saal des Hotels Fliegerheim blieb kein Stuhl leer. Offenbar interessieren sich die Alteingesessenen und die Hinzugezogenen für die Geschichte ihres Ortes. Zwei Stunden lang boten die Ortschronistin Heike Günther und ihre Gäste einen Überblick über die Borkheider Geschichte Vom Lanz-Preis der Lüfte bis zur Zugtaufe, wie die Veranstaltung überschrieben war.
Wie Bork, das heutige Borkheide, entstand
Günther selbst übernahm den großen geschichtlichen Überblick. Das frühere Waldgebiet hatten ein Herr Bönninger und ein Prof. Dr. Jürgens zur Jagd gepachtet. Bald hatten sie keine Lust mehr, immer vom Bahnhof Beelitz (Heilstätten) zu ihrem Jagdgebiet zu laufen. Also finanzierten sie den Bau des Bahnhofes an der Berlin-Wetzlarer Eisenbahnstrecke. So begann im Jahre 1900 die Geschichte von Bork, wie früher Borkheide hieß. Noch im gleichen Jahr wurde eine Waldschänke gebaut, das heutige Fliegerheim.
Hans Grade kommt nach Bork
Im Jahr 1909 lockte der Grundstücksmakler Rothgießer, der die Waldflächen rund um den Bahnhof erworben hatte, um sie an erholungssuchende Berliner zu vermarkten, Hans Grade nach Borkheide. Dieser gewann am 30. Oktober 1909 den erwähnten Lanz-Preis. Dazu musste er in einer Achterbewegung zwei einen Kilometer voneinander entfernte Markierungen umrunden und zur Startlinie zurückkehren. Es durften nur deutsche Piloten mit in Deutschland gebauten Flugzeugen teilnehmen. Auch alle Flugzeugteile mussten in Deutschland hergestellt worden sein. Mit dem Gewinn baute Grade seine Werkstätten und eine Fliegerschule in dem damaligen Bork auf.
Der Modellbauer Stefan Gerlach stellte in der Veranstaltung ein flugfähiges Modell des Eindeckers Libelle vor, mit dem Grade gewonnen hatte. Die Libelle war das kostengünstigste Flugzeug ihrer Zeit. Überhaupt legte Grade immer Wert auf Einfachheit, Zuverlässigkeit und geringen Spritverbrauch. Das galt auch für seine Autos, die er nach dem 1. Weltkrieg in Bork baute, als der Versailler Vertrag den Deutschen den Bau von Flugzeugen verbot.
Hans Grade international
Am Sonntag gab es noch mehr über Hans Grade zu erfahren. Prof. Michael Grade, der mit Hans Grade gemeinsame Vorfahren hat, übernahm es, über internationale Verbindungen des Flugpioniers zu berichten. Er verwies auf einige von Grades Flugschülern, zum Beispiel auf Bozena Laglerova aus dem heutigen Tschechien, die eine der ersten Pilotinnen überhaupt war, und auf Kumazo Hino, den ersten, der in Japan ein bemanntes Flugzeug erfolgreich flog. Daneben gab es aber noch zahlreiche andere Kontakte. So bekam Grade die Kurbelwellen für seine Motoren aus der heute noch existierenden Poldi-Hütte im tschechischen Kladno. Außerdem hielt Grade mindestens 96 Patente. Viele davon hatte er in Deutschland angemeldet, einige aber auch in Österreich und in der Schweiz, zwei sogar in Kanada und eines in den USA. Zu den österreichischen Verbindungen Grades gehörte auch der Austro Grade, ein Auto, das immerhin vier Jahre lang gebaut wurde. Schließlich sind die internationalen Wettbewerbe zu erwähnen, bei denen Grade zwar nicht mit den Franzosen mit ihrer längeren Erfahrung mithalten konnte, bei den er sich aber durchaus beachtlich schlug. In Nizza musste er während der Landung einer Menschengruppe ausweichen und landete auf einer Sandbank in einem nahen Fluss. Er war aber keinesfalls der einzige Bruchpilot.
Borkheide nach 1945
Nach Grade ging es weiter durch die Borkheider Geschichte. 1937 wurde aus der Kolonie Bork die Gemeinde Borkheide. Waren erst die naturhungrigen Berliner gekommen, so folgten ihnen später die ausgebombten Berliner und die Aussiedler. Nach dem Krieg lebten fast zweitausend Menschen in der Waldgemeinde. In den Nachkriegsjahren von 1945 bis 1953 verfügt Borkheide zum Beispiel über 15 Einzelhandelsunternehmen, 23 Schneider, Näher bzw. Schuhmacher, stolze 32 Baubetriebe, 6 Spediteure und 3 Gastgewerbe. Das frühere und heutige Fliegerheim hieß damals übrigens Roter Stern. Günther erinnerte an die beiden großen Betriebe in Borkheide. Zum einen an das VEB Geflügelschlachtkombinat Borkheide, das nicht nur Broiler für die DDR-Bevölkerung produzierte, sondern auch für den Export nach Westberlin und in die DDR. Zum anderen an die VEB (K) Möbelwerkstätten Borkheide, deren Schrankwände in Wohnungen in der Sowjetunion eingebaut wurden.
Borkheider Zeitzeuge
Noch später kamen die Erholungssuchenden aus den Chemiebetrieben der DDR. Aus dieser Zeit berichtete der Zeitzeuge Karl Schröder. Er erinnerte sich, dass man damals in Borkheide „die Pilze mit der Sense ernten“ konnte. Schröder selbst erwarb Land und wollte bauen. Dass er seine begonnene Garage nicht wieder abreißen musste verdankte er nur den Lockerungen nach dem VIII. Parteitag der SED, denn er hatte keine Baugenehmigung. Nach seiner Zählung sind in der Waldgemeinde 16 Straßen nach Baumarten, 15 nach Singvögeln und 5 nach Pilzarten benannt.
Borkheide nach 1990
Zum Schluss berichtete Bürgermeister Andreas Kreibich über die Entwicklung seit 1990, z.B. wie das alte Schwimmbad 1997 geschlossen und 2003 als Waldbad wieder eröffnet wurde oder wie die Schule ausgebaut wurde, die seit 2005 nach Hans Grade benannt ist. Heute leben wieder 1993 Einwohner in Borkheide, nach 1066 im Jahr 1990. Der Parforceritt durch die Borkheider Geschichte endete am 29. April 2017 mit der Taufe eines Zuges auf den Namen Borkheide. Fotsetzung folgt.
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