Brück. Es war dem Reetzerhüttener Götz Dieckmann nicht in die Wiege gelegt, ein „Roter“ zu werden. Er stammt aus eher kleinbürgerlichen Verhältnissen. „Auch ein Übergang zur religiösen Seite ist nicht zu erwarten“, sagte er schmunzelnd beim Gemeindenachmittag im Brücker Pfarrhaus. Pfarrer Helmut Kautz hatten den letzten Rektor der Parteihochschule „Karl Marx“, der heute in Bad Belzig lebt, überredet, seine Erlebnisse, Gedanken und Eindrücke der Wendezeit zu schildern. Dabei spielten auch Christen eine Rolle im Leben von Götz Dieckmann. Zum einen sein Großvater, ein bekennender Lutheraner. Deshalb sei er auch der Kirchenlieder mächtig, so Dieckmann, da sein Großvater ihn immer mit in die Kirche genommen habe. Zum anderen Walter Romberg. Er war 1990 Minister ohne Geschäftsbereich im „Kabinett der Verantwortung“ unter Ministerpräsident Hans Modrow und Minister der Finanzen der DDR im Kabinett von Lothar de Maizière. Beide waren Nachbarn und aus einer Bekanntschaft wurde eine Freundschaft, die auch noch über den Tod Rombergs hinaus besteht. „Er hat 40 Jahre meines Lebens mitgestaltet“, so Götz Dieckmann heute.
Schon im Alter von 15 Jahren begann sich Dieckmann mit dem Marxismus zu beschäftigen. Er studierte Kunstgeschichte und war Ende der 60er Jahre acht Monate lang als historischer Sachverständiger beim Anwalt Friedrich Karl Kaul beschäftigt. In diesem Zusammenhang nahm er an Prozessen gegen Naziverbrecher teil wie von 1967 bis 1970 im Essener Dora-Prozess. Das KZ Dora lag bei Nordhausen. „Ich habe Massenmördern gegenüber gesessen“, so Dieckmann:
„Das hat mein Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland nachhaltig geprägt.“
Denn er musste erleben, dass auf Grund angeblicher Krankheiten gegen die Angeklagten keine Urteile gefällt wurden.
Götz Dieckmann war viel im Ausland unterwegs. Eine besondere Beziehung hat er auch heute noch zu Vietnam. 1987 nahm er an einem wissenschaftlichen Kongress in Moskau teil. Da war Michail Gorbatschow bereits an der Macht und man sprach natürlich auch über das „neue Denken“. Götz Dieckmann interpretierte das in seiner Rede als eine Weiterentwicklung des Marxismus. Andere sahen das anders, nämlich etwas Neues ohne Klassenideologie. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war schon klar, wenn Gorbatschow nicht abgelöst wird, stirbt die damalige UdSSR und auch die DDR. Denn die ersten Auswirkungen des „neuen Denkens“ bekam die DDR schon zu spüren. Die UdSSR strich die Lieferung von 2 Millionen Tonnen Erdöl mit der Mitteilung, man müsse in Dollar zahlen, wenn man sie weiter haben wolle. So bleib nichts anderes übrig, als Produkte zu Dumpingpreisen in den Westen zu verkaufen, um an Devisen zu kommen.
„Man hat sich schon damals ernsthaft Sorgen gemacht, wie es weiter gehen soll“, so Götz Dieckmann:
„Schließlich waren wir doch keine Spinner, sondern Analytiker. Schon Stalin hätte nach dem Krieg die DDR sozusagen abgegeben, unter der Bedingung, dass sich die NATO nicht bis Deutschland ausdehnt.“
Der 9. November hat Dieckmann also nicht wirklich überrascht. Aber er war entsetzt über die Sprachlosigkeit innerhalb der SED-Führung. Man habe versäumt, zu handeln, sagte er. Mit großer Besorgnis habe er registriert, dass außer Geschwätz nichts passierte. Zusätzlich gab es eine Spaltung unter den Genossen in Gorbatschow-Befürworter und -Gegner. „Man hätte reagieren müssen und so vielleicht auch ein Zeichen in Richtung UdSSR senden können“, meinte Dieckmann. Da das nicht passierte war klar, Gorbatschow war dabei, den Warschauer Pakt zu demontieren. „Wir hätten vielleicht trotzdem verloren, aber nicht auf eine so schäbige Art und Weise“, so die Meinung von Götz Dieckmann.
Innerhalb der Parteischule, zu dessen Rektor er am 15. November 1989 gewählt wurde, setzte sich Götz Dieckmann vehement dafür ein, bei den großen Demonstrationen nicht zu Hause zu bleiben. Bedrückt musste er dabei zur Kenntnis nehmen, dass jemand mit einem Plakat, das Erich Honecker in KZ Kleidung zeigte, herumlief und niemand etwas unternommen hat. Da war für ihn klar, hier kann nichts Positives mehr geschehen. Schon andere politische Wendepunkte haben ihm gezeigt, dass das Volk plötzlich gegen etwas war, dem es vorher treu war – man denke nur an die Nazizeit.
Mit der Wende kam es auch zur Umbenennung der SED in die PDS. „Und plötzlich musste alles, wofür man früher eingestanden war, weg“, so Götz Dieckmann. Das ging vom Lenindenkmal bis zu den Karl-Marx-Büsten in der Parteischule, und das am liebsten noch vor dem geplanten Sonderparteitag. Die Lenin Statue passte nicht durch die Tür und wurde kurzerhand verschleiert. Auf der Wahlparty der PDS wurde eine im Eingangsportal stehende Marx-Büste mit Klopapier umwickelt. Irgendwer hatte ein Loch hinein gedrückt, so dass Marx irgendwie heraus schielte. Das war zu viel für Götz Dieckmann, ihm kamen die Tränen. „Wenn sich so etwas wiederholt, werde ich handgreiflich“, sagte er seinem damaligen unmittelbaren Vorgesetzten Lothar Bisky und bot ihm damit sozusagen „Dresche“ an. Am Ende musste auch Lenin weichen. Eine westdeutsche Journalistin hatte sich bei Götz Dieckmann zu einem Interview angemeldet und wollte den demontierten Lenin, der auf einem Tieflader im Innenhof der Parteischule lag, filmen. Dieckmann lehnte ab – was er heute bedauert.
Am 1. Juli 1989 wurde die Parteischule aufgelöst. Auf Grund seiner Erfahrungen mit der PDS in der Wendezeit hat Dieckmann beschlossen, dass er einer solchen Partei nicht angehören möchte und trat aus. Er hat sich nie verbogen, steht auch heute noch zu seiner Einstellung und zu seinem Handeln. Wirtschaftlich hat sich durch die Wiedervereinigung die pro Kopf Verschuldung in ganz Deutschland reduziert. Inzwischen ist sie extrem gestiegen. „Der Eintrittspreis für freies Reisen und eine neue Währung war eine Verschuldung von 50.000 DM pro Kopf“, resümiert Dieckmann. „1987 war das Rennen noch offen als klar war, wohin es in der UdSSR ging“, so seine Meinung. Zwei Jahre danach war alles zu spät.
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