Borkheide ehrt Georg Rothgießer mit einer Gedenktafel

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Bürgermeister Andreas Kreibich und der Rothgießer-Biograf Michael Mertins enthüllten heute Nachmittag auf dem Gelände der Hans-Grade-Grundschule in Borkheide eine Ehrentafel für Georg Rothgießer, dem Borkheide viel verdankt und der vor 75 Jahren im Ghetto Theresienstadt starb. „Mit der nach ihm benannten Straße und der Tafel ist ein Vergessen nicht mehr möglich“, freut sich Mertins.

Michael Mertins und Andreas Kreibich
Michael Mertins und Andreas Kreibich enthüllen die Tafel

Rothgießer ( geboren am 26. Dezember 1858 in Hannover; gestorben 1943 im Ghetto Theresienstadt) gehörte zu den Gründern des Ortes und war ein bedeutender Ingenieur, Verleger, Grundstücksmakler und vielseitiger jüdischer Technikpionier. Nach Ortschronistin Heike Günther war er es, der im Juli 1909 nach Magdeburg fuhr und den „pommerschen Dickschädel“ Hans Grade nach Borkheide lockte. Die Bahnanbindung, die nähe zu Berlin und die geringe Besiedlung, so dass sich kaum jemand am Fluglärm stören konnte – all das waren offenbar überzeugende Argumente. Rothgießer hatte im Jahr zuvor viel Land in Bork, dem heutigen Borkheide erworben. Mit dem Flugplatz auf dem Marsfeld hoffte er, neue Siedler anzuziehen. „Mit Rothgießer und Grade begann alles“, so Günther.

Porträt von Georg Rothgießer um 1930
Porträt von Georg Rothgießer um 1930 (von Michael Mertins zur Verfügung gestellt)

Aber auch sonst war Rothgießer eine umtriebige Person. Um 1879 erfand er in seiner Geburtsstadt Hannover eine Flaschenfüllvorrichtung. Später in Bielefeld gründete er mit anderen den Bielefelder Velocipid-Club. Er beteiligte sich am Aufbau einer Radrennbahn und siegte selbst bei Hochrad-Rennen. Vier Jahre später wurde er zum Mitbegründer einer Fabrik für Radfahrbedarfsartikel. Noch später gab er ein Fachblatt für die gesamte Musik- und Sprechmaschinen-Industrie heraus, begeisterte sich für Fotografie, für die Fliegerei, für Autos und vieles mehr. Insgesamt hielt er mehr als 20 Patente.

Werbeanzeige aus dem Buch SOS des Kraftfahrers 1926
Werbeanzeige aus dem Buch SOS des Kraftfahrers 1926 (von Michael Mertins zur Verfügung gestellt)
Der Amtsdirektor und Vertreter des Amtes und der Gemeinde waren zur Enthüllung der Tafel gekommen.
Der Amtsdirektor und Vertreter des Amtes und der Gemeinde waren zur Enthüllung der Tafel gekommen.
Der Gedenktafel sind viele Informationen zu entnehmen.
Der Gedenktafel sind viele Informationen zu entnehmen.

Laut Burkhard Ballin, Gemeindevertreter, kamen vor ca. vier Jahren die Erben von Georg Rothgießer auf die Gemeinde zu. Sie wollten Borkheide zwei Grundstücke schenken, die diese heute dringend benötigt, um dort entweder eine neue Schule oder eine neue Turnhalle zu bauen. Immerhin vier Flurstücke mit insgesamt rund 5800 m². Die Geste der Erben ist um so mehr zu würdigen, als nicht nur Rothgießer selbst, sondern auch seine Frau und zwei seiner Kinder von den Nazis ermordet wurden. Ihre einzige Bedingung war, dass die Gemeinde eine Straße nach Rothgießer benennen sollte, was die Gemeindevertreter 2014 gern beschlossen. Seit dem heißt die Straße hinter der Schule nach dem bedeutenden Borkheider. Wenn das neue Gebäude auf dem geschenkten Gelände errichtet ist, soll auch der Stein mit der heute enthüllten Tafel dort hin umgesetzt werden, versprach Kreibich.

Gedenktafel für Georg Rothgießer
Gedenktafel für Georg Rothgießer

Georg Rothgiesser – die wichtigsten Lebensstationen

Georg Rothgiesser war ein Fahrradpionier, der in Bielefeld, Essen, Düsseldorf, Berlin und Bork(heide) wirkte. 1858 in Hannover geboren, kam er 1881 als kaufmännischer Handlungsgehilfe zur Nähmaschinenfabrik Dürkopp & Co nach Bielefeld. Hier gründete er mit anderen Radsportenthusiasten ein Jahr später den Bielefelder Velociped-Club und war mit verantwortlich für Bielefelds erste Radrennbahn, die 1885 eingeweiht wurde. Selber war Rothgiesser ein guter Hochradfahrer, sowohl bei Rennen als auch auf der Langstrecke. Schon im Sommer 1883 eroberte er als Erster mit dem „hohen Rade“ den über 1000 m hohen Brocken im Harz – allerdings mehr schiebend als fahrend.

In Bielefeld gründete der Pionier 1883 mit seinem Kompagnon Richard Nagel die erste deutsche Fahrradsattelfabrik, die bis 1936 bestand. Durch sein großes technisches Verständnis war es ihm möglich, auf den verschiedensten Gebieten weit über 20 Patente zu erlangen. Bekannteste Beispiele sind der Schursattel für Hochräder und sein sattelgesteuertes Sicherheitsrad von 1886. Sein journalistisches Talent brachte ihm im gleichen Jahr den Redakteursposten beim RADMARKT ein, der ältesten noch bestehenden Fachzeitschrift für Fahrradindustrie und -handel.

1889 wechselte Rothgiesser nach Essen, um eine eigene Fahrradfabrik namens „Merkur“ zu gründen, vier Jahre später betrieb er kurzzeitig mit seinem Schwager Max Stern in Düsseldorf eine Fabrik für pneumatische Fahrradreifen. Noch vor 1900 siedelte der Unter­nehmer, der sich inzwischen als Ingenieur bezeichnete, nach Berlin über und verlegte seine Aktivitäten auf die Entwicklung von Phonographen, die Vorläufer der Schall­platten­spieler. Ab 1908 betrieb der vielseitige Techniker den ersten deutschen Motorflugplatz in Bork südlich von Potsdam. Nach dem Ersten Weltkrieg, als die Flugzeugproduktion im Deutschen Reich als Folge des Versailler Vertrages verboten wurde, parzellierte Rothgiesser das ehemalige Gelände seines Flugfeldes Mars und verkaufte die Grundstücke an Wochenend­siedler aus Berlin. Anfang der 1920er Jahre begeisterte sich der unstete Pionier für die aufkommende Radiotechnik. 1923 gründete er das Verlagshaus Rothgiesser & Diesing und gab u. a. sehr erfolgreich Deutschlands erste Radiozeitschrift heraus.

Da Rothgiesser jüdischer Abstammung war, wurde sein Verlag 1936 von den National­sozialisten arisiert und der Verleger sowie seine Familie enteignet. Sein Ausreise­antrag nach Bolivien, den er erst 1938 stellte, wurde abgelehnt. 1942 kam Georg Rothgiesser mit seiner Frau Anna mit den sogenannten Alterstransporten ins KZ Theresienstadt, wo er ein Jahr nach der De­portation am 6. April 1943 ums Leben kam. Seine Frau verstarb dort ein Jahr später. Zwei seiner Kinder, die Kinderärztin Gertrud Rothgiesser und der Verleger Heinrich Rothgiesser, wurden Opfer des Holocaust. Nach ihrer Tätigkeit im KZ Theresien­stadt kam Gertrud noch ins Vernichtungslager Auschwitz und Heinrich konnte trotz seiner Flucht nach Paris dem Zugriff der Nationalsozialisten nicht entkommen. Im Internierungs­lager im südfranzösischen Gurs verliert sich seine Spur. Durch rechtzeitige Auswanderung konnten sich die Kinder Hermann und Elisabeth retten.

Biografischer Text: Michael Mertins, Bielefeld

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